Der Kitt des Lebens

R. C. Sherriff - „Zwei Wochen am Meer“

von Frank Becker

Der Kitt des Lebens
 
„Zwei Wochen am Meer“
Ein Roman, der das Lied von
der Freude am Dasein singt
 
Wir befinden uns im Jahr 1931, als Robert Cedric Sheriff seinen zauberhaften Roman über zwei harmonische Ferienwochen einer liebenswürdigen englischen Durchschnittsfamilie aus dem Londoner Vorort Dulwich schreibt. Der Erste Weltkrieg ist seit 13 Jahren überstanden, der Zweite ist noch nicht in Sicht. Es herrscht Frieden, ein Frieden der tiefer und fühlbarer ist als die ledigliche Abwesenheit von Krieg. Es gibt weder Fernsehen noch Smartphone, natürlich kein Internet. Kaum jemand besitzt ein eigenes Auto oder Telefon. Man benutzt Bahn und Bus oder geht zu Fuß, um von A nach B zu kommen und nimmt sich die nötige Zeit dafür. Man lebt in seinen Verhältnissen, nicht über diese. Konsumterror, schreiende Werbung und Maßlosigkeit finden nicht statt. Bescheidenheit im nur positiven Sinn ist das Zauberwort.
 
Wir tauchen mit dem Autor in die spätsommerlichen Ferienvorbereitungen der Familie Stevens ein – das Elternpaar, die erwachsenen Kinder Mary und Dick und der Nachzügler Ernie –, die traditionell im September den Sommer für zwei Wochen im südenglischen Seebad Bognor ausklingen lassen werden. Mit leisem Humor erzählt R.C. Sheriff von den Reisevorbereitungen (bis Seite 60) und der Bahnfahrt mit Umsteigen in Clapham Junction (bis Seite 108), schließlich der Ankunft in Bognor. Ihre Unterkunft, der sie seit gut 15 Jahren treu geblieben sind, ist die Familienpension „Seaview“, die wie ihre Wirtin Mrs. Huggett und deren Mädchen für alles Molly etwas in die Jahre gekommen ist. Fehlender Komfort wird durch Freundlichkeit und stillen Service ersetzt, durchgelegne Betten sind für 14 Tage zu verschmerzen. Was zählt sind die Sonne, der Wind, das entspannte Strandleben samt dem Luxus einer kleinen Badehütte, das Wiedersehen mit alten Bekannten und angenehme neue Begegnungen, Selbstbesinnung, vielleicht ein Flirt. Die Detailgenauigkeit von Gedankengängen, Beobachtungen und Handlungen unserer Freunde – denn Freunde werden uns die fünf Stevens alsbald – macht den Leser zum heiteren Teilnehmer der Reise. Der Kitt des Lebens ist zugleich der Balsam für die Seele: Familiensinn und Zusammenhalt.
 
Der Roman glänzt durch die Abwesenheit von Konflikten, von häßlichen Zwischenfällen und Gewalt, sei es physischer oder psychischer Natur. Er beruhigt durch das Fehlen von Politik, Neid und Häme. Aufregung und Zorn haben keinen Platz. Niemand hat Verluste zu beklagen, allenfalls Gewinne zu verzeichnen, wenn wir vom den Umständen geschuldet zurückgehenden Geschäft der Pensionswirtin Mrs. Huggett einmal absehen. Aber auch da gibt es Trost. Ein jeder der behutsam, ja sanft gezeichneten Charaktere findet hier seinen individuellen Seelenfrieden im Vergnügen am Kleinen, in persönlichen Entscheidungen, vor allem aber in der harmonischen Gemeinsamkeit. Das springt auf den Leser über, der sich solche entspannten, im wesentlichen ereignislosen zwei Wochen (mindestens) bei der Lektüre herbeiträumt. Dafür von den Musenblättern unsrer Prädikat, den Musenkuß.
 
R. C. Sherriff  - „Zwei Wochen am Meer“
Originaltitel: „The Fortnight in September“
aus dem Englischen und mit einem Nachwort von Karl-Heinz Ott
© 2023 Unionsverlag, 346 Seiten, gebunden, Schutzumschlag, Lesebändchen - ISBN: 9783293006041
26,- €
 
Weitere Informationen: www.unionsverlag.com